Reiseberichte > »Es ist hier wie am Strand«
Reiseziel: Verbier / 4. Valleés
»Es ist hier wie am Strand«,sagt Dominique Perret. Im ersten Augenblick klingt das wie ein Scherz. Der Schweizer Freeride- und Extreme- Ski-Pionier hat sich unter die Apres-Ski-Gäste vor dem »Fer aCheval« in Verbier gemischt und nimmt genussvoll den ersten Zug von seinem Bier. Sein Blick wandert zu den Gletschern auf der Südseite des Val de Bagnes. Die letzten Sonnenstrahlen tauchen den über 4.000m hohen Grand Combin in ein mildes, rotes Abendlicht: Die Kulisse provoziert nicht unbedingt und sofort Assoziationen zu Sonne, Sand und Meer. Und doch hat Dominique Recht. Die Bar unter freiem Himmel, all die braungebrannten jungen Leute, die lässige Stimmung zu Füßen des Mont-Fort Gletschers erinnern an einen Surfspot - zumindest wenn der Winter Pause macht und die Sonne so warm scheint wie heute. An dem Skiständer vor der Bar lehnen Mädels in Bikini- Tops. Zwei Jungs in T-Shirts drehen sich flirtend nach ihnen um. Was Fuerteventura, die Kapverden oder Maui für Surfer, das ist Verbier
für Skifahrer. Ein absolutes Top-Revier. Vor allem Freerider kommen aus der ganzen Welt hierher. »Verbier zieht die Skiszene an wie ein Magnet« erzählt Dominique Perret. Er muss es wissen. Von den Coast Mountains Kanadas bis zum Himalaya gibt es kaum einen Gebirgszug, den er noch nicht unter seine Bretter genommen hat. Und trotzdem kehrt er seit zwölf Jahren immer wieder gerne in seine Wahlheimat Verbier zurück. Was ihn hierher lockt? »Ich bin ziemlich faul«, scherzt Dominique und die Lachfalten um seine Augen werden noch ein Stück tiefer. »Die vielen Lifte undGondeln bis in hochalpine Regionen kommen mir da sehr entgegen.« Was er damit meint, wird am nächsten Tag bei der Auffahrt zum Gipfel des Mont Fort deutlich. Im Rücken von Verbier erstreckt sich ein schier endloses Freeride-Gelände, von einem Bergrücken zum nächsten, von sanftem Almgelände bis zu felsigen Colouirs, von der von Bäumen geschützten Talabfahrt bis zu exponierten Gletscher-Runs. Über vier Täler erstreckt sich das Skigebiet - die 4 Valées. 95 Liftanlagen rücken jeden Gipfel in erreichbare Nähe. Diese gigantische Auswahl an Abfahrten macht es nicht immer leicht, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. »Der größte Fehler, den du in Verbier machen kannst, ist, nur für ein oder zwei Tage zu kommen«, meint Dominique. »Denn dann versuchst du, alles zu sehen, kriegst am Ende aber so gut wie nichts mit.« Entdecke die Möglichkeiten, aber Schritt für Schritt! »Am besten, du fragst die Einheimischen oder die Jungs von der Pistenpatrouille«, rät Dominique. »Hier sind alle sehr hilfsbereit.« Noch besser: Man nimmt sich für die ersten Orientierungsläufe einen Guide. Richard Michellod arbeitet als Bergführer und Ski-Guide für die Skischule La Fantastique. Am Gipfel des Mont Fort gibt er quasi aus der Vogelperspektive einen ersten Überblick über die besten Abfahrten rund um den 3330 m hohen Hausberg Verbiers: auf der Nordseite die eher mäßig geneigten Gletscherhänge, rechts des Col des Gentianes die felsdurchsetzte Flanke des Bec des Rosses, wo jedes Jahr im März die weltbesten Snowboarder und Freeskier beim O'Neill Extreme ihre Lines ziehen. Bevor es zum gemütlichen Aufwärmen auf die sanften Hänge des Mont-Fort-Gletschers geht, richtet Richard seinen Blick von der Abfahrt auf der Nordostseite des Mont-Fort nochmals in die Ferne. »Da, die Gipfel des Berner Oberlandes«. Dann deutet er in Richtung Osten. »Dort drüben, das Matterhorn und Weißhorn«, erklärt er. Dann dreht er sich: »Der Petit und Gran Combin« - die wuchtigen Gletschermassive südlich des Val de Bagnes wirken zum Greifen nah. Etwas weiter westlich wächst am Horizont das Mont-Blanc-Massiv in den blauen Himmel. In Verbier schlägt nicht nur das Herz der Skiszene, nein, Verbier liegt mittendrin im Herz der Alpen. Die höchsten und imposantesten Bergmassive reihen sich mit ihren Gipfeln und Graten wie eine Krone rundherum. Und der Mont Fort dient als grandiose Aussichtsterrasse auf die Schätze
der Westalpen.
»Jetzt aber los«, unterbricht Richard die Tagträume. Die Ski nehmen Fahrt auf, und der nächste Traum beginnt. Die Rückseite des Mont Fort bietet selbst an ungewöhnlich warmen Vorfrühlingstagen wie heute noch recht gute Bedingungen. Bei der Querung entlang des Stausees Lac de Cleuson bieten die Ferret-Hänge am gegenüberliegenden Ufer Stoff für neue Pulverträume. .Aber auch die Nachbarberge stehen denen des Mont-For-Massivs kaum nach. Von Siviez führen Sessellift und Gondel 1000 Höhenmeter nach oben auf den 2.740 m hohen Chassoure. Als Alternative zu den eher gemütlichen Pisten warten auch hier zum Teil markierte Varianten durch kupiertes, teilweise felsdurchsetztes Gelände. Ein paar kleine Jumps über verschneite Felsbuckel pfeffern die nächste Abfahrt. Die Oberschenkel brennen, der Puls jagt. Schwer atmend kommen wir wieder an der Chassoure Gondel an. Und jetzt? »Gleich noch mal rauf«, grinst Richard, »Du hast die Wahl«, meint er während der Fahrt nach oben. »Das Schöne ist, dass du hier immer gute Bedingungen finden kannst, egal wie Schnee und Wetter gerade sind. Abfahrten in alle erdenklichen Himmelsrichtungen machen's möglich.« Wenn die Südhänge sulzig weich werden. staubt auf den Nordseiten nicht selten noch der Pulver. Und selbst wenn mal ein Tief für ordentlich Schneenachschub sorgt und die Bahnen auf die Gipfel geschlossen sind, muss sich keiner zwangsläufig in der Hütte die Kante ge ben. »Dort drüben«,deutet Richard auf die andere Talseite., »das ist ein kleiner Geheimtipp bei Neuschnee und schlechtem Wetter.« Das kleine Skigebiet von Bruson bietet nur zwei Sessellifte und zwei Schlepper. Doch wenn in den hochalpinen Regionen der Schneesturm fegt, sind die baumumsäumten Abfahrten zum Powdern gerade richtig.
Die knackigen Runs machen hungrig. Auf der Sonnenterrasse des La Marmotte am Südhang des Savoleyres bringen Schweizer Rösti mit Bergkäse die am Berg gelassenen Kalorien wieder zurück. Und statt zwei, drei weiteren Abfahrten gibt's zum Nachtisch ein Glas Wein. Ja., auch das ist Verbier. Die urigen Berghütten verführen zum Genießen und Entspannen, genauso wie die warme Sonne an den Südhängen oberhalb des Ortes. Richard nutzt die Pause, um Pläne für den morgigen Tag zu schmieden. "Wir gehen auf Skitour«, verspricht er zum Abschied. Und während er bereits zu den ersten Schwüngen ins Tal ansetzt, ruft er noch: "Erforsche das Nachtleben nicht zu genau. Wir müssen früh raus.« Wer am Abend nichts falsch machen will, schaut auf jeden Fall mal im Mont Fort Pub vorbei. Hier trifft sich die Skiszene. Und am Tresen erfährt man zuverlässig, wann später wo was abgeht. »Am Abend in Verbier ist es wie tags am Berg«, meint Dominique Perret, »es ist jeden Tag woanders gut. Am besten, du fragst die Locals.«
Spätestens nach den ersten 300 Höhenmetern Aufstieg am nächsten Morgen ist die Müdigkeit wieder aus den Gliedern gewichen. Und der frische Wind am Col de la Rionde sorgt für einen klaren Kopf. Vom Gipfel des Mont Fort führt die Tour mit Richard am Gipfel des Rosablanche vorbei. Unterhalb des Le Parrain erstrecken sich traumhafte kupierte Hänge- satte 1.700 Höhenmeter bis hinab in das verschlafene Örtchen Fionnay. Die mal steilen, mal sanften Geländewellen überzieht ein makellos feiner Firnteppich. Wir surfen ihn voller Lust jauchzend hinab und stoßen auf der Sonnenterrasse unten im Ort mit einem Glas Rotwein auf die Traumtour an. Dominique hat Recht: Es ist hier wie am Strand!
Christian Penning, Skimagazin (Offizielles Organ des Westdeutschen Skiverbands), Ausgabe 02/03 2005
für Skifahrer. Ein absolutes Top-Revier. Vor allem Freerider kommen aus der ganzen Welt hierher. »Verbier zieht die Skiszene an wie ein Magnet« erzählt Dominique Perret. Er muss es wissen. Von den Coast Mountains Kanadas bis zum Himalaya gibt es kaum einen Gebirgszug, den er noch nicht unter seine Bretter genommen hat. Und trotzdem kehrt er seit zwölf Jahren immer wieder gerne in seine Wahlheimat Verbier zurück. Was ihn hierher lockt? »Ich bin ziemlich faul«, scherzt Dominique und die Lachfalten um seine Augen werden noch ein Stück tiefer. »Die vielen Lifte undGondeln bis in hochalpine Regionen kommen mir da sehr entgegen.« Was er damit meint, wird am nächsten Tag bei der Auffahrt zum Gipfel des Mont Fort deutlich. Im Rücken von Verbier erstreckt sich ein schier endloses Freeride-Gelände, von einem Bergrücken zum nächsten, von sanftem Almgelände bis zu felsigen Colouirs, von der von Bäumen geschützten Talabfahrt bis zu exponierten Gletscher-Runs. Über vier Täler erstreckt sich das Skigebiet - die 4 Valées. 95 Liftanlagen rücken jeden Gipfel in erreichbare Nähe. Diese gigantische Auswahl an Abfahrten macht es nicht immer leicht, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. »Der größte Fehler, den du in Verbier machen kannst, ist, nur für ein oder zwei Tage zu kommen«, meint Dominique. »Denn dann versuchst du, alles zu sehen, kriegst am Ende aber so gut wie nichts mit.« Entdecke die Möglichkeiten, aber Schritt für Schritt! »Am besten, du fragst die Einheimischen oder die Jungs von der Pistenpatrouille«, rät Dominique. »Hier sind alle sehr hilfsbereit.« Noch besser: Man nimmt sich für die ersten Orientierungsläufe einen Guide. Richard Michellod arbeitet als Bergführer und Ski-Guide für die Skischule La Fantastique. Am Gipfel des Mont Fort gibt er quasi aus der Vogelperspektive einen ersten Überblick über die besten Abfahrten rund um den 3330 m hohen Hausberg Verbiers: auf der Nordseite die eher mäßig geneigten Gletscherhänge, rechts des Col des Gentianes die felsdurchsetzte Flanke des Bec des Rosses, wo jedes Jahr im März die weltbesten Snowboarder und Freeskier beim O'Neill Extreme ihre Lines ziehen. Bevor es zum gemütlichen Aufwärmen auf die sanften Hänge des Mont-Fort-Gletschers geht, richtet Richard seinen Blick von der Abfahrt auf der Nordostseite des Mont-Fort nochmals in die Ferne. »Da, die Gipfel des Berner Oberlandes«. Dann deutet er in Richtung Osten. »Dort drüben, das Matterhorn und Weißhorn«, erklärt er. Dann dreht er sich: »Der Petit und Gran Combin« - die wuchtigen Gletschermassive südlich des Val de Bagnes wirken zum Greifen nah. Etwas weiter westlich wächst am Horizont das Mont-Blanc-Massiv in den blauen Himmel. In Verbier schlägt nicht nur das Herz der Skiszene, nein, Verbier liegt mittendrin im Herz der Alpen. Die höchsten und imposantesten Bergmassive reihen sich mit ihren Gipfeln und Graten wie eine Krone rundherum. Und der Mont Fort dient als grandiose Aussichtsterrasse auf die Schätze
der Westalpen.
»Jetzt aber los«, unterbricht Richard die Tagträume. Die Ski nehmen Fahrt auf, und der nächste Traum beginnt. Die Rückseite des Mont Fort bietet selbst an ungewöhnlich warmen Vorfrühlingstagen wie heute noch recht gute Bedingungen. Bei der Querung entlang des Stausees Lac de Cleuson bieten die Ferret-Hänge am gegenüberliegenden Ufer Stoff für neue Pulverträume. .Aber auch die Nachbarberge stehen denen des Mont-For-Massivs kaum nach. Von Siviez führen Sessellift und Gondel 1000 Höhenmeter nach oben auf den 2.740 m hohen Chassoure. Als Alternative zu den eher gemütlichen Pisten warten auch hier zum Teil markierte Varianten durch kupiertes, teilweise felsdurchsetztes Gelände. Ein paar kleine Jumps über verschneite Felsbuckel pfeffern die nächste Abfahrt. Die Oberschenkel brennen, der Puls jagt. Schwer atmend kommen wir wieder an der Chassoure Gondel an. Und jetzt? »Gleich noch mal rauf«, grinst Richard, »Du hast die Wahl«, meint er während der Fahrt nach oben. »Das Schöne ist, dass du hier immer gute Bedingungen finden kannst, egal wie Schnee und Wetter gerade sind. Abfahrten in alle erdenklichen Himmelsrichtungen machen's möglich.« Wenn die Südhänge sulzig weich werden. staubt auf den Nordseiten nicht selten noch der Pulver. Und selbst wenn mal ein Tief für ordentlich Schneenachschub sorgt und die Bahnen auf die Gipfel geschlossen sind, muss sich keiner zwangsläufig in der Hütte die Kante ge ben. »Dort drüben«,deutet Richard auf die andere Talseite., »das ist ein kleiner Geheimtipp bei Neuschnee und schlechtem Wetter.« Das kleine Skigebiet von Bruson bietet nur zwei Sessellifte und zwei Schlepper. Doch wenn in den hochalpinen Regionen der Schneesturm fegt, sind die baumumsäumten Abfahrten zum Powdern gerade richtig.
Die knackigen Runs machen hungrig. Auf der Sonnenterrasse des La Marmotte am Südhang des Savoleyres bringen Schweizer Rösti mit Bergkäse die am Berg gelassenen Kalorien wieder zurück. Und statt zwei, drei weiteren Abfahrten gibt's zum Nachtisch ein Glas Wein. Ja., auch das ist Verbier. Die urigen Berghütten verführen zum Genießen und Entspannen, genauso wie die warme Sonne an den Südhängen oberhalb des Ortes. Richard nutzt die Pause, um Pläne für den morgigen Tag zu schmieden. "Wir gehen auf Skitour«, verspricht er zum Abschied. Und während er bereits zu den ersten Schwüngen ins Tal ansetzt, ruft er noch: "Erforsche das Nachtleben nicht zu genau. Wir müssen früh raus.« Wer am Abend nichts falsch machen will, schaut auf jeden Fall mal im Mont Fort Pub vorbei. Hier trifft sich die Skiszene. Und am Tresen erfährt man zuverlässig, wann später wo was abgeht. »Am Abend in Verbier ist es wie tags am Berg«, meint Dominique Perret, »es ist jeden Tag woanders gut. Am besten, du fragst die Locals.«
Spätestens nach den ersten 300 Höhenmetern Aufstieg am nächsten Morgen ist die Müdigkeit wieder aus den Gliedern gewichen. Und der frische Wind am Col de la Rionde sorgt für einen klaren Kopf. Vom Gipfel des Mont Fort führt die Tour mit Richard am Gipfel des Rosablanche vorbei. Unterhalb des Le Parrain erstrecken sich traumhafte kupierte Hänge- satte 1.700 Höhenmeter bis hinab in das verschlafene Örtchen Fionnay. Die mal steilen, mal sanften Geländewellen überzieht ein makellos feiner Firnteppich. Wir surfen ihn voller Lust jauchzend hinab und stoßen auf der Sonnenterrasse unten im Ort mit einem Glas Rotwein auf die Traumtour an. Dominique hat Recht: Es ist hier wie am Strand!
Christian Penning, Skimagazin (Offizielles Organ des Westdeutschen Skiverbands), Ausgabe 02/03 2005